Erfahrungen eines durchgeführten Anti-Gewalt-Trainings

Wichtige Erkenntnisse für die aktuellen Diskussionen zum Jugendstrafrecht:

Die Gesellschaft, die Politik, wir alle, sollten diese jugendlichen schwer vermittelbaren Hartz-IV-Empfänger, die in ihrer Kindheit nie die Chance bekamen, gewaltfreie Konfliktlösungen  zu beobachten in entsprechenden Programmen und Projekten  begleiten und mit ihnen gemeinsam neue Konfliktlösungsmöglichkeiten ausprobieren, die für ihren Alltag tauglich sind.

Es muss für sie eines Tages die Chance bestehen, wie für  Jugendliche aus intellektuellen Elternhäusern  auch, dass sie ihre Konflikte, ihre Wut und ihre Ängste verbalisieren können um dann in unserer Arbeitswelt mithalten und bestehen zu können.

 

  Projekt

„Bewusstsein- und Verhaltensänderung von jugendlichen Hartz-IV-Empfängern

in Form eines Anti-Gewalt-Trainings

durchgeführt im Jahr 2007 in Kooperation mit der Produktionssschule Wolgast

gefördert durch Aktion Mensch, „dieGesellschafter.de“

Es ist tatsächlich so, dass  nach  Auskunft des Arbeitsamtes viele jugendliche Hartz-IV Empfänger nach einer Anamese zwar in der Hinsicht geschult werden können, dass sie fehlende Kenntnisse aus dem Schulbereich aufholen, dass mit ihnen Kontinuität und Zuverlässigkeit eingeübt wird, dass sie ein angenehmeres und verbindlicheres Auftreten erlernen - doch ein allzu häufiger Grund der Nichtvermittelbarkeit in den Arbeitsprozess besteht darin, dass diese Jugendlichen ihr aggressives Verhalten nicht steuernkönnen. Sie würden von Arbeitgebern wegen ihres aggressiven Verhaltens nicht für längere Zeit beschäftigt werden können, da sie eine Gefahr für den Betrieb darstellen. Sei es, dass sie andere Mitarbeiter attackieren, ohne Frustrationstoleranz auf Kunden losgehen und auch Ausbildern und Vorgesetzten grenzverletzend und aggressiv begegnen.

Eigene Beobachtungen und Schlussfolgerungen:

Wie wir in diesem Projekt feststellen konnten, besteht das Manko für diese Jugendlichen darin, dass sie anscheinend  nie in ihrer Kindheit und Schulzeit dahingehend angeleitet wurden, ihrem Ärger den richtigen Ausdruck zu verleihen und Impulse auch mal zu verlagern, hinauszuzögern oder gar zu unterdrücken. Konfliktkultur ist für sie ein Fremdwort.

Genau an diesem Punkt hat unser Projekt angesetzt. Es herrschte absolute Aufrichtigkeit.

Vorgehensweise:

Wir haben mit den jungen Hartz-IV-Empfängern zwei Mal im Monat ein Anti-Gewalt-Training durchgefüht, so dass sie jetzt nach einem dreiviertel Jahr in der Lage sind, über sich und ihre Handlungen zu reflektieren, ihre Impulse zu steuern und nach Alternativen zu suchenEiner von ihnen geht jetzt mit uns in Schulklassen, um die Jugendlichen aufzufordern, sich im Unterricht zu bemühen und nicht kriminell zu werden, so wie er es getan hat und sich jetzt nur noch schwer zurecht findet.

Alle Jugendlichen kamen freiwillig in unser Programm, weil sie erkannt haben, dass sie mit ihrem bisherigen Verhalten auf Dauer auf der Verliererseite stehen würden.

Der Zulauf wurde zum Ende des Projektes so stark, dass wir die Arbeit zu zweit kaum noch bewältigen konnten. Die Jugendlichen drängten uns dabei immer mehr in die Rolle eines Coach. Wir machten mit ihnen die vorbereiteten Übungen, gingen jedoch immer wieder stark auf ihre ureigensten Konflikte und Ängste ein um so auch in ihrem Alltag die eingeübten Verhaltensweisen zu verankern. Themen wie Vaterschaft, Eifersucht, Probleme mit den Schwiegereltern, mit der Partnerin und Versagensängste tauchten immer wieder auf und wir zeigten ihnen, dass sie mit unseren Übungen auch ihre Alltagskonflikte lösen konnten. Sie wurden im Laufe der Zeit immer konzentrierter, ernsthafter und gelassener. Die anfängliche Anspannung wich  einem neuen Selbstvertrauen in die eigene Konfliktfähigkeit.

Wir haben mit dem Projekt im April 2007 begonnen und im Januar 2008 beendet.Teilgenommen haben in der Produktionsschule Wolgast ca 8 Teilnehmer.

Nachfolgend die ersten Trainingstage, die tatsächlich so abgelaufen sind: (Die Namen sind abgeändert)

Erste Konfrontation:

Zu Beginn des Trainings erschien Silvio mit Sonnenbrille und Basecape, das er tief ins Gesicht gezogen hatte. Er rutschte ununterbrochen auf dem Stuhl hin- und her. Lachte immer wieder plötzlich auf, kommentierte jeden Satz, versuchte sexuelle Anspielungen zu machen und konnte sich überhaupt nicht auf ein ernsthaftes Gespräch einlassen. Wie ein Kleinkind stürzte er sich auf Süßigkeiten, die wir ihm schließlich angeboten hatten, wenn er für 10 Minuten mal ruhig bleiben würde, damit wir Sebastian zuhören konnten. Es funktionierte. Er verlangte  dann in den folgenden Sitzungen immer wieder nach Schokolade. Er zeigte zwar starke Konzentrationsschwierigkeiten, doch am Ende des Trainings konnte er über zwei Stunden den Inhalten folgen.

Sebastian hatte seine ganze Kindheit in Heimen verbracht. Teilweise war er auch bei Pflegefamilien. Erst jetzt über 20 hat er seine leibliche Mutter kennen- und schätzen gelernt.„Ich muss ihr beistehen, sie ist gesundheitlich nicht mehr so fit und ich habe einen kleinen Bruder, für den ich mich verantwortlich fühle….meine Mutter und mein Bruder sind der Grund, warum ich nicht mehr in den Knast will.“ Sebastian hat mehrmals wegen schwerer Körperverletzung im Gefängnis gesessen und auch die Forensische Klinik in Stralsund hinter sich. Sebastian lebt jetzt bei seiner Mutter. Er hat eine Freundin. Sebastian hat arge Alkoholprobleme.

Michael ist am ganzen Körper tätowiert. Er trägt mehrere Piercing. Er ist von allen der Vernünftigste. Auch er war bereits im Gefängnis. Er hat bereits einen kleinen Sohn. Doch lebt er mit der Mutter seines Kindes nicht mehr zusammen. Sie haben unentwegt heftige Auseinandersetzungen. Sie hält ihm seine ganzen Schwächen vor und kitzelt ihn dann in seiner Wut so hoch, dass er kaum an sich halten kann. Sie bestraft ihn mit Verbot des Besuchsrechts für das Kind. Dieser Leidensdruck ist inzwischen so groß geworden, dass er lernen will, seine Konflikte anders zu lösen. Die Produktionsschule hat ihm wegen seiner Aggressionen gekündigt. Normalerweise darf er die Räume nicht mehr betreten. Doch das Training ist ihm so wichtig, dass er kontinuierlich und konzentriert bei uns  mitmacht.  

1. Trainingstag

Berichterstattungen, was gerade aktuell passiert ist

1.

Silvio hatte eine Schlägerei auf der Straße hinter sich. „Ich war gestresst und  leicht angetrunken. Da wurde ich auf der Straße von einem Fremden angerempelt. Es fielen dumme Sprüche – da warte ich nicht auf eine Entschuldigung – da schlage ich gleich zu“.

2.

Michael hat auf dem Wohnungsamt zu lange warten müssen. Als er dann endlich zum Schluss aufgerufen wurde und die verlangten 5 Euro für eine Bescheinigung nicht bezahlen konnte, wurde seine Schmach so groß, dass er in seinem Wutanfall das Mobiliar im Büro durch die Gegend schleuderte und daraufhin ein generelles Hausverbot ausgesprochen bekam.

Wir klären nach Einführung der Regeln mit allen in der Runde, was für sie Stress bedeutet:

  • kein Geld
  • Ärger mit der Freundin
  • keine körperliche Auslastung
  • die vielen Besuche auf den Ämtern

Folgende Übungen wurden noch erarbeitet:

Gefühle malen

Mein rotes Tuch - Auflistung von Situationen, die mich reizen

Welches innere Stoppschild habe ich zukünftig bei Gewalttaten

Was ist Achtsamkeit? Wie kann ich mich selbst bremsen

Eigene Gefühle beobachten und die andere Person beachten

Wie gehe ich gelassener mit speziellen Konfliktsituationen um?

Einführung eines Coolness-Tagebuchs

Erarbeitung der zwei Seiten eines Konflikts, was geht in der anderen Seite vor?

Entschärfung von persönlichen Konflikten mittels eines Vertrages (mit der Freundin etc.)

Anhand eines Fotoromans Erarbeitung von Ursache – Folge – Wirkung einer Gewalthandlung

Körperhaltungen von Opfern

Was kostet das Leben? was kann ich dazu beitragen, meine Situation zu verbessern?

Für welche negativen Veränderungen in meinem Leben bin ich verantwortlich?

Wovor habe ich Angst?

Basics der Benimmregeln

Was haben wir erreicht?

Im Sommer teilte  uns Michael freudestrahlend mit, dass er einen Praktikumsplatz hätte und bei guter Führung die Option auf BVJ für ein halbes Jahr und danach eine Ausbildung für zwei Jahre zum Koch oder Beikoch machen könne. Im Dezember erfahren wir, er bekommt den Ausbildungsplatz. Er kommt vorerst noch weiter zum Training. Mit seiner Freundin hat er ein neuen Besuchsrecht ausgehandelt und weiß nun, wie er ohne Aggressionen mit ihr umgehen kann.

Sebastian hat im Oktober für sich entschieden, keinen Alkohol mehr zu trinken. Ende November hat sich seine Freundin von ihm getrennt und ist seitdem mit seinem besten Freund zusammen. Er ist in einer tiefen Krise. Eigentlich wäre es eine Ehrenfrage für ihn, den anderen zusammen zu schlagen, erzählt er traurig. Wir visualisieren mit ihm gemeinsam, wie er gewaltfrei reagieren kann, wenn ihm sein Freund auf der Straße begegnet und welches Stoppschild er in seinem Kopf verankern könnte. In der Produktionsschule wird er inzwischen wegen seiner Ernsthaftigkeit und  seinem Verantwortungsbewusstsein geschätzt.

Jetzt im Januar hat sich Sebastian wieder gefangen. Er ist für die Produktionsschule so zuverlässig geworden, dass er zum Gruppenchef ernannt wurde, jeden Montag die Gesprächsrunde leitet und die Verantwortung für die Jugendlichen übertragen bekommt, wenn die Ausbilder sich mal kurz entfernen müssen.

Silvio schlägt nicht mehr auf Menschen ein, dafür hat er Sachbeschädigung an einem Auto begangen. Für den anstehenden Prozess haben wir zugesichert, auf seine freiwillige Teilnahme am Anti-Gewalt-Training hinzuweisen und durch unser persönliches Erscheinen eine Strafminderung zu erreichen. Er braucht eigentlich noch ein weiteres Anti-Gewalt-Trainings-Jahr.

Die Entwicklung der anderen Teilnehmer ist so oder ähnlich verlaufen. Sie möchten eigentlich mit uns weiter arbeiten. Wir werden sehen, wie wir das bewerkstelligen können.

Wir werden versuchen, dieses Projekt öffentlich zu machen um auch andere Menschen zu befähigen, mit unserem Curicculum Jugendlichen die Angst vorm Versagen zu nehmen.

Der letzte Tag:

Wir suchten von allen Teilnehmern dieses Projekts Timo aus, mit uns in eine Hauptschulklasse der Förderschule nach Anklam in den Unterricht hinein zu gehen, weil dort zwei Jugendliche schwer gefährdet sind, abzurutschen. Null Bock auf Schule, einige Straftaten, Zugehörigkeit zur rechten Szene, Verurteilungen auf Bewährung.

Timo erzählte von seinem Lebenslauf, von ehemaliger Mitgliedschaft in der rechten Szene, von seiner letzten Verurteilung, von eigenem Versagen, von seinen schlimmen Erfahrungen im Knast und dass er in der Forensischen Klinik endlich Toleranz und Verantwortungsbewusstsein gelernt hätte. Das wäre die Kehrtwende in seinem Leben gewesen sowie das Training mit uns. Er erzählte aufrichtig von den Konsequenzen seines früheren Lebenswandels. Ächtung  im Dorf, Schwierigkeiten mit Freundinnen, keine Chance auf eigenen Haushalt, keine Chance auf eigenes Auto etc.. Er betonte zum Schluss, dass er jedoch für alles ganz allein verantwortlich wäre. Alle Personen im Klassenraum, wir Trainer, die Lehrerin und die Schüler waren  innerlich  berührt.

Reaktion des einen gefährdeten Schülers bei der Auswertung:  „Es reicht, ich habe genug gehört. Mehr kann ich nicht verkraften“

Wir haben also anders, als angedacht, nicht einen ehreamtlichen Erwachsenen in diese Jungmännergruppe mitgenommen, sondern ihnen so viel Vertrauen entgegen gebracht, dass wir einen von ihnen für die Präventivarbeit einsetzten.

Der Gedanke wäre für die Zukunft, dieses häufiger auch mit den anderen Teilnehmern in einem neuen Projekt zu tun. Timo hat eine hohe Anerkennung von unserem Verein, von der Lehrerin dieser Schulklasse, von seiner Produktionsschule und letztendlich auch von den Schülern bekommen, was sein schwaches Selbstbewusstsein stärken wird. Die Schüler haben an diesem Tag gelernt, dass sie

–        für sich selbst und ihr Tun die Verantwortung übernehmen müssen und nicht andere dafür verantwortlich   machen können,

–        dass Schulbildung die einzige Chance bietet, gar nicht erst in so ein Milieu hineinzu-

–        kommen, aus dem Timo  - nach eigenem Bekunden – nur noch mit allergrößtem Einsatz und Bemühen herauskommt.

Wir sind gerne interessiert auch mit anderen Trägern Informationen über die Inhalte dieses Trainings auszutauschen.